Capitalism&Nature - Kapitalismus & Natur

Diesen Text habe ich im Jahr 2020 geschrieben, aber er hat auch für vocal ecotism eine gewisse Relevanz. bei unserem ersten Treffen (online und live) im Januar 24 habe ich über die funktion der KUnst einiges gesagt, was auch hier erwähnt wird. Na ja, ich hoffe, die Lektüre ist anregend!

I wrote this text in 2020, but it also has some relevance for vocal ecotism. At our first meeting (online and live) in January 24, I said a few things about the function of art that are also mentioned here. Well, I hope it's an inspiring read!

 

 

 

English below

 

Gerade lese ich ein sehr anregendes Buch von Jason W. Moore mit dem Titel: Kapitalismus im Lebensnetz. (matthes & seitz, Berlin 2020) Darin sind ein paar Gedanken zu finden, die sich eignen, in den Kontext meiner Überlegungen zum Künstlersein im Kapitalismus gestellt zu werden. Diese Gedanken betreffen zwei Aspekte, zum einen die Idee der NATUR, wie sie im Kapitalismus entwickelt wurde und zum anderen die Frage nach dem Verständnis von Arbeit in und außerhalb der Logik des Kapitalismus.

 

Das Buch von Moore ist eine akademische Arbeit, die sehr sorgfältig und ausführlich auf die selbst gestellten Themen eingeht. Ich kann die Thesen nur sehr verkürzt und z.T. durch meine Linse verzerrt widergeben.

Moores Anliegen ist es, eine Methode zu entwerfen, mit der man den Dualismus von Natur und Gesellschaft überwindet und in die Lage versetzt wird, beides miteinander zu denken, statt davon auszugehen, dass die Natur eine Art Grundlage für die Gesellschaft und den Kapitalismus liefert – eine Grundlage, die gerade von dieser Weltgesellschaft schwer geschädigt wird. Dabei macht Moore plausibel, dass der Begriff von Natur, mit dem wir in der Regel agieren, selbst ein Resultat des kapitalistischen Denkens ist. Im Frühkapitalismus erst wurde die Natur zu etwas da draußen, zu einem Objekt, das vom Menschen betrachtet und noch wichtiger, vom Menschen analysiert, gemessen und dann ausgebeutet bzw. angeeignet werden konnte. Auf der einen Seite steht der Mensch als so genanntes rationales Wesen und auf der anderen die Natur, die auf das Messbare reduziert und zur Ware degradiert wird. Der Mensch, von dem da die Rede ist, entspricht übrigens in dieser Gleichung mehr oder weniger dem europäischen Mann, denn Frauen, Sklaven und überhaupt Bewohner anderer Kontinente waren in diesem Denken Teil der NATUR, deren Arbeit dem kapitalistischen System quasi umsonst zufließen konnte. An dieser Stelle entwickelt Moore eine sehr originelle und starke These: Der Kapitalismus funktioniert nur dadurch, dass es aus dem Grenzland des kapitalistischen Systems einen stetigen Zufluss von Arbeit und Natur – im Sinne von Rohstoffen und Lebensmitteln – gibt, der nicht angemessen bezahlt wird. Der Kapitalismus bezahlt diese Rechnungen nicht und deshalb kann das eigentliche System von Produktion und Lohnarbeit aufrechterhalten werden. Doch im 21. Jahrhundert sind wir an einem Punkt angekommen, wo es kein neues Grenzland mehr gibt. Die „Billige Natur“ ist aufgebraucht, der kapitalistische Vereinnahmungsmechanismus findet kein Futter mehr, und die zerstörerischen Elemente des Kapitalismus werden zu einer selbstzerstörerischen Kraft.

 

Wenn man jetzt aber die Menschenwelt nicht mehr der Natur gegenüberstehend denken will, sondern sie als Teil derselben versteht, stellt sich die Aufgabe, einen neuen, postkapitalistischen Begriff von Natur zu entwerfen, der es uns (vielleicht) erlaubt, aus dieser bedrohlichen Situation mit blauem Auge herauszukommen und Gestaltungsmöglichkeiten für eine neue und vielleicht menschenwürdigere Welt zu gewinnen.

Hier kommt die Künstler*in ins Spiel, oder genauer gesagt, eine bestimme Idee des Künstlerseins, die nicht die einzig mögliche darstellt. Im Anschluss an Max Scheler kann behauptet werden, dass gerade die Künstler sich ein vorkapitalistisches Weltverhältnis bewahrt haben, dass die Natur nicht als messbares Material und als Ware versteht, sondern um die Bedeutsamkeit der Natur (als Relevanz und als Signifikanz) für die Menschen weiß. An diesem Wissen könnte der Versuch, einen postkapitalistischen Naturbegriff zu formen, anknüpfen.

 

In einer weiteren Hinsicht sind die Überlegungen von Jason Moore für die Frage nach der Selbstpositionierung von Künstler*innen im Kapitalismus von Belang. Ähnlich wie die Natur ist die Kunst nämlich ebenfalls vom kapitalistischen System ausgelagert worden. Die Kunst wurde aus der Mitte des Lebens, wo sie in vorkapitalistischen Gesellschaften meistens stand, (man denke an die christliche Kunst im Mittelalter oder die Bedeutung des Theaters für die griechische Antike!) an den Rand gedrängt. Kunst wurde zum Grenzland. Doch die Arbeit der Kunst konnte nicht so einfach in das System von Lohnarbeit einerseits und nicht entlohnter Arbeit andererseits eingefügt werden. Mal steht sie auf der einen, mal auf der anderen Seite. Kunst scheint nicht richtig ins System zu passen und vielleicht ist es dieser Widerspenstigkeit zu verdanken, dass sich die Kunst auch nach 500 Jahren Kapitalismus eine gewisse Eigenständigkeit bewahrt hat. Und es gibt Gründe zu hoffen, dass die Kunst deshalb einen vielversprechenden Anknüpfungspunkt darstellt für eine postkapitalistische Art des Denkens, in der Natur und Kunst integral verstanden werden.

 

 

English: 

 

I am reading a very stimulating book by Jason W. Moore entitled: Capitalism in the Web of Life. It contains a few thoughts that I would like to put into the context of my reflections on being an artist in capitalism. These thoughts concern two aspects, on the one hand the idea of NATURE as it was developed under capitalism, and on the other hand the question of the understanding of work in and outside the logic of capitalism.

 

Moore's book is an academic work that deals very carefully and in detail with the topics he has set himself. I can only present the theses in a very abbreviated form and partly distorted by my perspective.

 

Moore's concern is to devise a method to overcome the dualism of nature and society and to enable to think both aspects together, instead of assuming that nature provides a kind of foundation for society and capitalism - a foundation that is severely damaged by this world society in particular. In doing so, Moore makes it plausible that the concept of nature we usually have in mind is itself a result of capitalist thinking. In early capitalism, nature for the first time became something out there, an object that could be observed and, more importantly, analysed, measured and then exploited or appropriated by man. On the one hand there is man as a so-called rational being and on the other hand nature, which is reduced to the measurable and degraded to a commodity. Incidentally, in this equation, the human being in question more or less corresponds to the European male, because women, slaves and in general inhabitants of other continents were part of NATURE in this way of thinking. Their work could flow into the capitalist system for virtually nothing. At this point, Moore develops a very original and strong thesis: capitalism only functions because there is a steady influx of labour and nature - in the sense of raw materials and food - from the borderland of the capitalist system, which is not adequately paid. Capitalism does not pay these bills and only so the actual system of production and wage labour is functioning at all. In the 21st century we have reached a point where there is no longer new borderland. The "cheap nature" is used up, the capitalist mechanism of appropriation no longer finds futter, and the destructive elements of capitalism become a self-destructive force.

 

However, if we now want to think of the human world no longer as opposed to nature, but as part of it, the task is to create a new, post-capitalist concept of nature that (perhaps) allows us to get out of this threatening situation with a black eye and to gain ideas and possibilities for a new and perhaps more humane world.

 

This is where the artist comes into the scenery.  Following Max Scheler, it can be said that it is mainly the artists who have preserved a pre-capitalist world relationship, which does not understand nature as a measurable material and as a commodity, but knows about the significance of nature (as relevance and as meaningfulness) for people. The attempt to form a post-capitalist concept of nature could tie in with this knowledge.

 

 

 

In a further respect, Jason Moore's reflections are relevant to the question of the self-positioning of artists in capitalism. Like nature, art has been outsourced by the capitalist system. Art has been marginalised from the middle of life, where it usually stood in pre-capitalist societies (think of Christian art in the Middle Ages or the importance of theatre for ancient Greece!)  Art became a borderland. But the work of art could not so easily be inserted into the system of paid labour on the one hand and unpaid labour on the other. Sometimes it stands on one side, sometimes on the other. Art does not seem to fit properly into the system and perhaps it is thanks to this reluctance that art has retained a certain independence even after 500 years of capitalism. And there are reasons to hope that art therefore represents a promising starting point for a post-capitalist way of thinking in which nature and art are understood integrally.

 

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