Meredith Monk & William Turner - Überlegungen/Consideration

 

English version below!

 

 

 

Meine Recherchen in Sachen vocal ecotism haben mich für ein paar Tage nach München geführt. In erster Linie, um mir dort die Ausstellung „calling“ im Haus der Kunst anzusehen und anzuhören, eine ziemlich umfassende Retrospektive des Werks von Meredith Monk. Da wir schonmal in München waren, hat uns der Weg außerdem ins Lenbachhaus in eine Ausstellung zu William Turner geleitet.

 

Turner hat offenkundig sehr wenig mit Stimmkunst zu tun, doch er hat eine Art von Landschaftsmalerei entwickelt, mit der die Kunst sich aus der engen Verzahnung mit der Wissenschaft, wie sie in den Jahrhunderten davor üblich war, löste und sich als Gegenkonzept des reinen Naturalismus neu entwarf. Turner zeigt die Welt nicht mehr klar und deutlich, nicht mehr detailgetreu in dem Sinne, wie man sie sehen muss, um sie wissenschaftlich untersuchen zu können. Bei Turner liegt die Szenerie oft im Nebel, in anderen Bildern ist durch die dargestellte Bewegung der Dinge im Bild alles unscharf und verschwommen und manchmal sieht man nur noch eine Ahnung dessen, was auf dem Gemälde dem Titel nach gemalt wurde. Das war zu seiner Zeit revolutionär. Im Rahmen von vocal ecotism ist das interessant, weil sein Werk das Verhältnis von Menschen zur sogenannten Natur anders darstellt, als es zu der Zeit üblich war. Die strikte Trennung von Natur und Kultur, über die wir beim Treffen im Feb. 24 gesprochen haben, wird hier aufgelöst. Der Mensch, der sich etwa in dem Schneesturm auf See wiederfindet, hat die Kontrolle über die Natur verloren und fühlt sich ihr ausgeliefert. Ein Gefühl, dass die Neuzeit eigentlich überwinden wollte.

 

 

 

 

Meredith Monk

 

 

 

Stimmkunst im Netz des Lebens

 

(aus der Ausstellung in München:)

 

 

Meredith Monk hat drei große Arbeiten geschaffen, die sich mit der Frage des Verhältnisses der Menschen zur Natur befassen. Das ist für uns sehr spannend, weil sie offenbar zu den wenigen Künstler*innen gehört, die dieses Verhältnis auf fundamentale Weise thematisieren und in Frage stellen. Wie verstehen wir uns in der Welt und mit der Welt?

 

In dem Musiktheaterstück „On Behalf of Nature“ von dem man in der Ausstellung die musikalischen Kompositionen hören konnte, geht es ihr um etwas ähnliches wie Turner. Sie schreibt selbst dazu: „Ich wollte ein Werk mit einem fließenden Wahrnehmungsfeld schaffen, das das Bewusstsein für das, was wir zu verlieren drohen, erweitern könnte. On Behalf of Nature ist eine Meditation über unsere innige Verbindung zur Natur, ihre inneren Strukturen, die Zerbrechlichkeit ihrer Ökologie und unsere gegenseitige Abhängigkeit.“

 

Da gibt es also eine ganze Reihe von Anknüpfungspunkten zu Fragen, die uns in vocal ecotism bewegen. Die konkrete Umsetzung der Themen in dem Musiktheater lässt sich aus dem, was in der Ausstellung dazu zu hören und zu sehen war, schwer beurteilen. Die Aufnahmen der Vokalstücke haben mich eher ratlos zurückgelassen. Da fehlte sicher der Kontext. Allerdings hat das kurze Video auf ihrer Website

https://www.meredithmonk.org/repertory/on-behalf-of-nature-2

 meine Ratlosigkeit nicht verringert…

 

Ähnlich erging es mir mit dem Stück Cellular Songs, in dem Monk spielerisch mit den eher naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zur engen Beziehung zwischen Mensch und Natur arbeitet. Auf ihrer Website

https://www.meredithmonk.org/repertory/cellular-songs/,

auf der es einiges mehr zu ihrer Arbeit zu sehen und zu hören gibt, wird das Stück folgendermaßen vorgestellt:

 

Cellular Songs lenkt die Aufmerksamkeit nach innen auf das Gewebe des Lebens selbst. Zusammen mit den Frauen ihres gefeierten Vokalensembles kombiniert Monk einige ihrer bisher abenteuerlichsten Vokalstücke mit Bewegung, Licht, Instrumentalmusik und Film sowie einer speziell für jeden Raum konzipierten Videoinstallation. Das Werk, das zugleich spielerisch und kontemplativ ist, lässt sich von zellulären Aktivitäten wie Schichtung, Replikation, Teilung und Mutation inspirieren und sucht nach zugrunde liegenden Systemen in der Natur, die als Prototyp für menschliches Verhalten in unserer turbulenten Welt dienen können.“

 

In der Ausstellung war die Video-Installation zu sehen, die nur einen Ausschnitt aus dem ganzen Projekt wiedergibt. Auch in diesem Stück erkenne ich eine große Nähe in der Fragestellung zwischen ihrem Ansatz und dem von vocal ecotism und zugleich eine mich irritierende Ferne in der Art der künstlerischen Umsetzung.

 

Das dritte Stück der Trilogie, die Meredith Monk zu dem Thema des Verhältnisses von Mensch und Natur gemacht hat, trägt den Titel Indra´s Net. Das bezieht sich auf eine buddhistisch inspirierte Legende, nach der um die Welt ein Netzwerk gespannt ist, in dem man in allen Kreuzungspunkten der Fäden ein Juwel sieht, das durch die vielfältigen Lichtbrechungen die ganze Welt widerspiegelt. Also auch hier eine Metapher für die Verwobenheit von allem! Das Stück ist weder in der Ausstellung noch auf ihrer Website bislang dokumentiert (oder ich habe was übersehen…). Es liegt nahe, eine ähnliche ästhetische Umsetzung wie bei den anderen Stücken und vielen anderen ihrer Projekte zu vermuten.

 

Ich muss zugeben, dass ich persönlich keinen leichten Zugang zu den Arbeiten von Meredith Monk finde. Es hat lange gedauert, bis mir klar geworden ist, woran das liegt und ich erzähle das hier nur deswegen, weil es sich da um einen Aspekt handelt, der mir für vocal ecotism zentral zu sein scheint.

 

Auf die Spur gekommen bin ich dem Grund für meine Irritation und Ratlosigkeit durch einen Hinweis von Agnes, die als Sängerin sofort erkannte, dass die Stimme in den Kompositionen von M. Monk immer „gehalten“ ist. Da gibt es sehr wenig Unerwartetes, ganz wenig Wildes und Unkontrolliertes. Auch in den eher extended-Teilen ihrer Stimmkunst weiß sie (und ihre Mitsänger*innen) anscheinend immer, was sie als nächstes tun wird. Das ist natürlich eine ästhetische Entscheidung, gegen die man nicht argumentieren kann. Doch dahinter steht ein Verständnis der menschlichen Stimme, das meinem/unserem nicht entspricht. M. Monk sagt in einem Interview, sie hätte als junges Mädchen schon erkannt, dass ihre Stimme auch – so wie das Klavier - ein Instrument sei und eine eigene Sprache darstelle. Eine solche Aussage hat sehr viele Implikationen. Für mich ist hier relevant, dass sich damit ein im weiten Sinne instrumentelles Verhältnis zur eigenen Stimme manifestiert. Die Stimme wird als Medium oder reines Mittel zur Umsetzung künstlerischer Ideen verstanden (und spricht in diesem Sinne auch ohne, dass man Wortsprache hinzufügen müsste). Wenn man die Stimme in dieser Konsequenz als Instrument versteht, kommt gar nicht in den Blick, dass das Phänomen Stimme selbst viel über das Verhältnis von Menschen zur Welt aussagen kann. Stimme haben ist eine Form des In-der-Welt-Seins. (Gesang ist Dasein! Rilke) Deshalb ist die Frage, die wir in vocal ecotism an den Anfang gestellt haben: Hat die Stimme Eigenschaften und Qualitäten, die sie dazu prädisponiert, für einen künstlerischen Beitrag zur „Rettung der Welt“ eine zentrale Rolle zu spielen? Versteht man die Stimme bloß als Instrument, macht die Frage wenig Sinn. Ich glaube, nur wenn wir die Instrumentenmetapher für die Stimme beiseite lassen, wie die Stimme uns direkt sowohl mit unserer geistigen Existenz als auch mit dem, was man gemeinhin Natur nennt, in Verbindung bringen kann. Von dieser Erfahrung aus sind wir vielleicht in der Lage, Stimmkunst für die versehrte Welt zu schaffen.

 

 

 

Nachtrag März 2024:

ABER!! In ihren frühen Arbeiten war sie manchmal sehr nahe an dem, was uns interessiert, so z.b. in ihrer Aufnahme "Songs from the Hill": https://www.youtube.com/watch?v=nJNJuDYlOXM

Die Autorin Theda Weber-Lucks schreibt dazu:

 

In der darauffolgenden Soloperformance, Songs from the Hill, den lautsprachlichen Kommunikationen mit einem imaginierten “Prairie Geist” oder einem Vogel, die sie im Jahre 1976 in Placitas, New Mexiko, unter freiem Himmel schuf, prägt sich bereits die für Monk typische, nonverbale Liedform der “abstrakten Folk Songs” aus. Darin kombiniert sie auf rhythmisch raffinierte Art und Weise Klangfarbe und emotionalen Ausdruck der Stimme, während mit der Idee einer nonverbalen Kommunikation mit der Tier- und Geisterwelt ein harmonisches, pantheistisches Weltbild zum Ausdruck gelangt.

 

                                                                       Aus: Theda Weber-Lucks: KÖRPERSTIMMEN.

 

VOKALE PERFORMANCEKUNST ALS NEUE MUSIKALISCHE GATTUNG

Lohnt sich sehr, mal reinzuhören!

 

 

Vocal ecotism:

 

William Turner and Meredith Monk

 

 

 

My research into vocal ecotism took me to Munich for a few days. Primarily to see and listen to the exhibition "calling" at Haus der Kunst, a fairly large retrospective of Meredith Monk's work. As we were already in Munich, we also went to the Lenbachhaus to see an exhibition on William Turner.

 

Turner obviously had very little to do with vocal art, but he developed a kind of landscape painting that freed art from the close links with science that had been common in previous centuries and redesigned it as a counter-concept to pure naturalism. Turner no longer shows the world clearly and distinctly, no longer in detail in the sense that one has to see it in order to be able to analyse it scientifically. In Turner's work, the scenery is often shrouded in mist, in other paintings everything is blurred and out of focus due to the movement of things in the picture and sometimes you can only see a hint of what is painted in the picture in accordance with the title. This was revolutionary at the time. In the context of vocal ecotism, this is interesting because his work depicts the relationship between people and so-called nature differently than was customary at the time. The strict separation of nature and culture that we talked about at the meeting in Feb. 24 is dissolved here. The human being who finds himself in the snowstorm at sea, for example, has lost control over nature and feels at its mercy. A feeling that modern times actually wanted to overcome.

 

 

 

Meredith Monk

 

 

 

Vocal art in the web of life

 

 

(from her exhibition in Munich:)

 

 

Meredith Monk has created three major works that deal with the question of man's relationship to nature. This is very exciting for us because she is obviously one of the few artists who address and question this relationship in a fundamental way. How do we understand ourselves in the world and with the world?

 

In the music theatre piece "On Behalf of Nature", the musical compositions of which could be heard in the exhibition, she is concerned with something similar to Turner. She herself writes: „I worked to make a piece with a fluid, perceptual field that could expand awareness of what we are in danger of losing. On Behalf of Nature is a meditation on our intimate connection to nature, its inner structures, the fragility of its ecology and our interdependences.”

 

So there are a whole series of references to questions that move us in vocal ecotism. The concrete implementation of the themes in this music theatre is difficult to judge from what could be heard and seen in the exhibition. The recordings of the vocal pieces left me rather perplexed. There was certainly a lack of context. However, the short video on their website

https://www.meredithmonk.org/repertory/on-behalf-of-nature-2

 did not reduce my confusion...

 

I had a similar experience with the piece Cellular Songs, in which Monk playfully works with the more scientific findings on the close relationship between humans and nature. On her website

https://www.meredithmonk.org/repertory/cellular-songs/,

where you can see and hear more about her work, the piece is presented as follows:

 

Cellular Songs turns attention inward to the very fabric of life itself. Joined by the women of her acclaimed Vocal Ensemble, Monk combines some of her most adventurous vocal music to date with movement, light, instrumental music and film, as well as a video installation designed specifically for each space. The work, at once playful and contemplative, draws inspiration from such cellular activity as layering, replication, division and mutation, and looks to underlying systems in nature that can serve as a prototype for human behavior in our tumultuous world.

 

In the exhibition, a video installation was shown that only presents an excerpt from the entire project. In this piece, too, I recognise a great closeness in the questioning between her approach and that of vocal ecotism and at the same time an irritating distance in the manner of artistic realisation.

 

The third piece in the trilogy that Meredith Monk has created on the theme of the relationship between humans and nature is entitled Indra's Net. This refers to a Buddhist-inspired legend according to which a network is stretched around the world in which a jewel can be seen in all the intersections of the threads, reflecting the whole world through the various refractions of light. So here, too, a metaphor for the interconnectedness of everything! The piece is not yet documented in the exhibition or on their website (or I have missed something...). It seems reasonable to assume a similar aesthetic realisation to the other pieces and many of her other projects.

 

I have to admit that I personally don't find Meredith Monk's work easy to access. It took me a long time to realise why, and I'm only telling you this here because it's an aspect that seems to me central to vocal ecotism.

 

I discovered the reason for my irritation and perplexity through a tip from Agnes, who, as a singer, immediately recognised that the voice in M. Monk's compositions is always "sustained". There is very little that is unexpected, very little that is wild and uncontrolled. Even in the more extended parts of her vocal artistry, she (and her fellow singers) always seem to know what she is going to do next. This is, of course, an aesthetic decision that cannot be argued against. But behind it is an understanding of the human voice that does not correspond to mine/ours. M. Monk says in an interview that she realised as a young girl that her voice - like the piano - is an instrument and represents a language of its own. Such a statement has many implications. For me, what is relevant here is that it manifests an instrumental relationship to one's own voice in an broader sense. The voice is understood as a medium or pure means of realising artistic ideas (and in this sense speaks without the need to add word language). If the voice is regarded as an instrument in this sense, it fails to realise that the phenomenon of the voice itself can say a lot about the relationship between humans and the world. Having a voice is a form of being-in-the-world. (Singing is Dasein! Rilke) That is why the question we posed at the beginning of vocal ecotism is: Does the voice have characteristics and qualities that predispose it to play a central role in an artistic contribution to "saving the world"? If we understand the voice merely as an instrument, the question makes little sense. I believe that only if we leave aside the instrument metaphor for the voice we can recognise how the voice can connect us directly to both our spiritual existence and to what is commonly called nature. From this experience, we may be able to create vocal art for the wounded world.

 

 

 

Addendum March 2024:

BUT!!! In her early works she was sometimes very close to what we are interested in, e.g. in her recording "Songs from the Hill": https://www.youtube.com/watch?v=nJNJuDYlOXM

The author Theda Weber-Lucks writes about this:
In the subsequent solo performance, Songs from the Hill, the spoken-language communications with an imagined "prairie spirit" or bird, which she created outdoors in Placitas, New Mexico, in 1976, Monk's typical non-verbal song form of "abstract folk songs" is already taking shape. In it, she combines rhythmically refined tone colour and emotional expression of the voice, while the idea of non-verbal communication with the animal and spirit world expresses a harmonious, pantheistic view of the world.

                          From: Theda Weber-Lucks: KÖRPERSTIMMEN. VOCAL PERFORMANCE ART AS A NEW MUSICAL GENRE

Anyway, well worth a listen!

Kommentar schreiben

Kommentare: 0