Klima, Technik, Tier - Climate, Technology, Animal

 

English below!

 

Vocal ecotism – Praxistreffen 12.6.24

 

Beim Praxistreffen im stimmfeld-Studio sind vier Punkte zur Sprache gekommen, die ich gerne hier mitteilen möchte:

 

-   Eva Horn: Klima als topologischer Begriff

 

-   Die Überwindung der Trennung von Natur und Kultur in der Stimme

 

-   Die Frage nach der Technik!

 

-   Vom Element zum Tier

 

 

 

 

 

 

 

1.Eva Horn: Klima als topologischer Begriff

 

 

 

Die Literaturwissenschaftlerin Eva Horn hat sich mit der Geschichte des Klimabegriffs beschäftigt und in einem Interview (im Deutschlandfunk) darauf hingewiesen, dass mit der heute üblichen Unterscheidung in Klima und Wetter nicht alle Facetten abgedeckt sind. Mit Klima wurde lange Zeit eigentlich die an einem Ort herrschenden Lüfte und Winde bezeichnet. Es war also ein topologischer und nicht so sehr ein regionaler Begriff. Die Lüfte konnten gesund oder gesundheitsschädlich sein, ebenso die Winde. Dementsprechend hielt man sich an bestimmten Orten lieber nicht oder besonders gerne auf. Auch die Architektur orientierte sich an diesem speziellen klimatischen Wissen. Im Gespräch beim Praxistreffen haben wir betont, dass es so etwas wie ein politisches Klima gibt und auch ein Raumklima. Für die stimmliche Praxis im Rahmen von vocal ecotism ist diese Klimadiskussion interessant, weil sie den Aspekt der äußeren Situation, wie er im klassischen stimmfeld-Trainingsprogramm auftaucht, bereichert. Zur äußeren Situation gehört dann eben auch das so verstandene Klima eines Ortes, an dem ich mit meiner Stimme aktiv bin. D.h. das Klima wirkt als Teil der äußeren Situation auf die innere Situation und meinen Körper und damit auch auf meine Stimme und darauf, welche Bereiche meines Stimmfelds aktiv und lebendig sind und welche außerhalb des aktuell lebendigen Bereiches liegen.

 

Eva Horn hat zur Geschichte des Klimabegriffes ein Buch geschrieben, das im Herbst erscheinen soll. Könnte für uns interessant sein.

 

 

 

 

2.Die Überwindung der Trennung

von Natur und Kultur in der Stimme

 

 

Ein mögliches Ziel einer stimmlichen Praxis im Rahmen von vocal ecotism ist in der Überwindung der neuzeitlichen scharfen Trennung von Kultur und Natur für unser Verständnis und unseren konkreten Umgang mit der menschlichen Stimme zu sehen. Wie ich an anderer Stelle schon formuliert habe, geht der Riss zwischen diesen beiden Bereichen in gewisser Weise mitten durch die Stimme.

 

Ich erinnere mich an die Aussage eines Opernregisseurs (leider weiß ich nicht mehr, wer es war.), der meinte, erst die im höchsten Maße kultivierte Stimme der Opernsänger*innen würde die Stimme natürlich klingen lassen. Unabhängig davon, ob wir dem zustimmen würden (eher nicht!), ist diese Aussage sehr interessant. Sie ist ganz in der Logik der Trennung von Kultur und Natur zu verstehen und weist eigentlich darauf hin, wie schwer es ist, von so etwas wie der natürlichen Stimme zu sprechen. Was genau soll das sein? Darüber müssen wir weiter sprechen!

 

Davon abgesehen folgt eine gewisse Spielart der Roy Hart Stimmarbeit einem ganz ähnlichen Denken. Auch hier gibt es die Idee, dass erst die Stimme, die sich zur im besten Fall acht Oktaven umfassenden menschlichen Stimme geöffnet oder entwickelt hat, die Freiheit besitzt, natürlich zu klingen. Da ist ja auch was dran! Aber uns geht es in vocal ecotism darum, die Stimme anders zu verstehen: jenseits der Unterscheidung in Kultur und Natur.

 

 

 

 

3.Die Frage nach der Technik!

 

 

Durch eine Fernsehdokumentation (auf arte) bin ich auf die Frage gestoßen worden, welche Bedeutung die unser Leben allumfassende Technik für den Versuch hat, unser Verhältnis zur Welt so zu verändern, dass es weniger zerstörerisch auf diese Welt wirkt. Es gibt eine Tendenz, die ich auch in mir wahrnehme, mit diesem Versuch in die romantische Falle zu treten und immer noch so etwas wie die Natur anzunehmen, die irgendwie ohne menschliches Zutun da draußen ist. Und es ginge darum, dass wir als Naturwesen einen neuen Zugang finden, um uns ohne die ganze Zivilisation im Gepäck zu tragen, mit dieser naturnahen Welt in Verbindung zu bringen.

 

In der Dokumentation ging es auf den ersten Blick betrachtet um etwas ganz anderes. Sie handelte von einem Computerprogramm namens auto-tune, mit dem man mittlerweile in Echtzeit, den eigenen Gesang, sofern er in ein Mikro gesungen wird, in Bezug auf die Tonhöhe korrigieren kann. D.h. auf der Bühne und im Studio macht es nichts mehr, wenn ich Melodien nicht „richtig“ also gemäß den vorgegebenen Noten singen kann. Auto-tune macht die Arbeit sofort für mich. Es scheint, dass dieses Programm seit fast 20 Jahren im Rap flächendeckend und in der Popmusik sehr oft zum Einsatz kommt und das Verständnis, das Musiker*innen von ihrer Stimme haben, völlig verändert haben muss. Bezeichnend war eine Bemerkung eines jungen Künstlers, der meinte, dass auto-tune mittlerweile Standard sei. Nur noch ein paar alte Boomer würden dagegen wettern, weil ihnen die Authentizität fehle. Aber wichtig sei doch nur, welche Gefühle bei den Zuhörer*innen ausgelöst würden.

 

Nicht nur als Boomer sondern auch als Stimmlehrer in der Tradition von Wolfsohn/Hart fühle ich mich hier angesprochen und herausgefordert, meine Vorstellungen vom Verhältnis von Menschen zu ihrer Stimme neu zu formulieren und zu verteidigen. Aber das ist nicht das Thema von vocal ecotism. In unserem Zusammenhang ist die Geschichte von auto-tune ein Indiz, dass eine erfolgreiche Suche nach einem neuen poetischen Weltzugang nicht umhin kommt, die Frage zu stellen, wie die Technik in dieses Feld hineinspielt. Im nächsten Abschnitt mit einem kurzen Bericht über die praktische Arbeit während unseres Treffens zeigt einen kleinen Aspekt auf.

 

 

 

 

4.Vom Element zum Tier

 

 

 Im kleinen Kreis haben wir eine Übung gemacht, die mal wieder mit der Verbindung zu den Elementen ansetzte, beginnend mit dem Element Erde. Die Verbindungsaufnahme vollzog sich auf mittlerweile klassische Weise über den Kontakt zum Boden, auf dem wir standen, dann haben wir über die fünf Zugangsweisen spüren, wissen, vorstellen, fühlen und hören, die Verbindung zu den Erdqualitäten im Körper, der inneren Situation und dem Kontakt nach außen aufgenommen. In einem weiteren Schritt ging es dann darum, aus der so entstandenen Situation in die Vorstellung eines Tiers zu gehen, dass sich aus der Verbindung zum Element Erde in mir zeigt. Wir haben die Stimme mit ins Spiel genommen, ohne das Tier imitieren zu wollen, und nach einer gewissen Zeit nach der hervorstechenden Qualität dieses Tieres gefragt. Welche Eigenschaft dieses Tieres zeigt sich mir und wie zeigt sie sich in mir?

 

Die gleiche Übung haben wir mit dem Element Wasser durchgeführt und dann unsere Erfahrungen ausgetauscht. Das Feedback war sehr reich und ermutigt, auf diesem Weg weiter zu gehen. Ich möchte hier auf einen Punkt aufmerksam machen: Die Übung kann uns helfen, eine Liste von stimmlichen Qualitäten und Bewegungen zu erstellen, die sich aus der Verbindung mit den Tierbildern ergibt.

 

 

Der erste Versuch hat folgende Qualitäten hervorgebracht:

 

Wasser:   - Leuchtqualle: kaum eigene Bewegung, mit der äußeren

 

Bewegung mitgehen, sich treiben lassen.

 

-   Wasserschlange: eine freie, starke Schlängelbewegung nach oben

 

-   Hai: souveräne Aufmerksamkeit, die eine traurig-einsame Färbung bekommen kann – der traurige Hai!

 

Erde:     - kleines Wildpferd: erdverbundene Sprungkraft

 

-   Kuru: entspannte geerdete Wachsamkeit

 

-   Große Echse: bewegungslose Geduld und plötzliche Schnelligkeit

 

 

 

In der Diskussion der Ergebnisse kamen wir nochmal auf das Thema der Technik. Wir haben uns klar gemacht, dass wir die meisten Tiere, die uns eingefallen sind, nicht aus der realen direkten Erfahrung kennen, sondern durch technisch vermittelte Bilder. Unser Bezug zur tierischen Natur ist zum großen Teil über technische Medien geformt. Was heißt das für uns und unsere Verbindung zur Welt?

 

 

 

    

 

 

Vocal ecotism - practice meeting 12.6.24

 

At the practice meeting in the stimmfeld studio, four points came up that I would like to share here:

 

- Climate as a topological concept (Eva Horn)

 

- Overcoming the separation of nature and culture in the voice

 

- The question of technology!

 

- From element to animal

 

 

 

 

 

1 Eva Horn: Climate as a Topological Concept

 

 

 

The literary scientist Eva Horn has analysed the history of the concept of climate and pointed out in a radio interview that the distinction between climate and weather that is commonly made today does not cover all facets. For a long time, climate actually referred to the air and winds prevailing in a place. It was therefore a topological and not so much a regional term. The air could be healthy or harmful, as could the winds. Accordingly, people preferred not to spend time in certain places or particularly liked to do so. Architecture was also orientated towards this special climatic knowledge. In the discussion at the practice meeting, we emphasised that there is such a thing as a political climate and also an indoor climate. This climate discussion is interesting for vocal practice in the context of vocal ecotism because it enriches the aspect of the external situation as it appears in the classic stimmfeld training programme. The external situation also includes the climate of a place where I am active with my voice. In other words, as part of the external situation, the climate has an effect on the internal situation and my body and therefore also on my voice and on which areas of my vocal field are active and alive and which are outside the currently active area.

 

Eva Horn has written a book on the history of the concept of climate, which is due to be published in the autumn. It could be interesting for us.

 

 

 

 

 

2. Overcoming the Separation

of Nature and Culture in the Voice

 

 

One possible goal of vocal practice within the framework of vocal ecotism can be seen in overcoming the sharp modern division between culture and nature in our understanding and concrete handling of the human voice. As I have already formulated elsewhere, the split between these two areas goes right through the voice in a certain way.

 

I remember one opera director (unfortunately I can't remember who it was) saying that only the highly cultivated voice of opera singers would make the voice sound natural. Regardless of whether we would agree with this (probably not!), this statement is very interesting. It is to be understood entirely in the logic of the separation of culture and nature and actually points out how difficult it is to speak of something like the natural voice. What exactly is that? We need to talk about that further!

 

Apart from that, a certain type of Roy Hart voice work follows a very similar line of thinking. Here, too, there is the idea that only the voice that has opened up or developed into the human voice, which at best covers eight octaves, has the freedom to sound natural. There is something to that! But for us, vocal ecotism is about understanding the voice differently: beyond the distinction between culture and nature.

 

 

 

 

3. The Question of Technology!

 

 

Through a television documentary (on arte) I came across the question of what significance technology, which is all-embracing our lives, has for the attempt to change our relationship to the world in such a way that it has a less destructive effect on this world. There is a tendency, which I also recognise in myself, to fall into the romantic trap with this attempt and still assume something like nature, which is somehow out there without human intervention. And it would be about us as natural beings finding a new way to connect with this world close to nature without carrying the whole of civilisation in our luggage.

 

At first glance, the documentary was about something completely different. It was about a computer programme called auto-tune, with which you can now correct the pitch of your own singing in real time, provided it is sung into a microphone. This means that on stage and in the studio, it no longer matters if I can't sing melodies "correctly", i.e. according to the specified notes. Auto-tune does the work for me straight away. It seems that this programme has been used extensively in Rap and Pop music for almost 20 years and must have completely changed the way musicians understand their voices. A remark by a young artist who said that auto-tune is now standard was significant. Only a few old boomers would still rail against it because they lacked authenticity. But the only important thing is what feelings are triggered in the listeners.

 

Not only as a boomer but also as a voice teacher in the Wolfsohn/Hart tradition, I feel addressed and challenged here to reformulate and defend my ideas about the relationship between humans and their voice. But that is not the subject of vocal ecotism. In our context, the story of auto-tune is an indication that a successful search for a new poetic approach to the world cannot avoid the question of how technology plays into this field. The next section, with a short report on the practical work during our meeting, highlights one aspect.

 

 

 

 

4. From Element to Animal

 

 

 In a small group, we did an exercise that once again began with the connection to the elements, starting with the element earth. The connection was established in the now traditional way via contact with the ground on which we were standing, then we used the five access methods of sensing, knowing, imagining, feeling and hearing to establish the connection to the earth qualities in the body, the inner situation and the contact with the outside world. In an extended step, we then moved from the resulting situation into the imagination of an animal that shows itself in me from the connection to the element of earth. We brought the voice into play, without wanting to imitate the animal, and after a certain amount of time asked about the animal's outstanding quality. What quality of this animal shows itself to me and how does it show itself in me?

 

We did the same exercise with the element of water and then shared our experiences. The feedback was very rich and encouraged us to continue on this path. I would like to draw attention to one point here: The exercise can help us to create a list of vocal qualities and movements resulting from the connection with the animal images.

 

The first attempt produced the following qualities:

 

Water: - Luminous jellyfish: hardly any movement of its own,

 

to move along with the external movement, let yourself drift.

 

- Water snake: a free, strong upward sinuous movement

 

- Shark: sovereign attention, which can take on a sad, lonely colour - the sad shark!

 

Earth: - small wild horse: earthy bounce

 

- Kuru: relaxed, grounded alertness

 

- Big lizard: motionless patience and sudden speed

 

 

 

In discussing the results, we returned to the topic of technology. We realised that we do not know most of the animals that came to mind from real direct experience, but through technically mediated images. Our relationship to animal nature is largely formed through technical media. What does this mean for us and our connection to the world?

 

 

 

 

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